1986 war ein gutes Jahr. Mein Sohn Dennis kam zur Welt. Da ich da schon 31 Jahre alt wurde, war es Zeit nicht mehr nur Bonsai im Kopf zu haben. Na ja, nur noch ein klein wenig. Der Kleine nahm unsere ganze Freizeit in Beschlag, weshalb ich zu dieser Zeit nicht sehr viele Bäume auf unserem Balkon pflegte.
Aber, man bekommt diese Sachen auch nicht völlig aus dem Kopf. So war es im Frühjahr, als wir die Schwiegereltern besuchten. Die Schwiegermutter arbeitete im Vorgarten, wo sie einen riesigen Forsythienbusch loswerden wollte. Dabei sollte ich ihr helfen.
Für die Clubzeitung des BCD habe ich einmal einen Bericht über diese Forsythie geschrieben. Teile davon zitiere ich nun hier.
Die vorgestellte Forsythie hat schon einen sehr langwierigen und auch interessanten Werdegang hinter sich. Diesen Baum bekam ich 1986 in meinen Besitz. Er stand genau 10 Jahre in einem Garten und war ein Teil eines 2,50m hohen Forsythienbusches. Die Besitzerin hatte ihn gerade ausgegraben und wollte ihn entsorgen. Natürlich bedurfte es keiner großen Anstrengung, ihr den Baum abzuschwatzen. So kam ich zu diesem, anfänglich wenig aussagendem Stamm. Forsythienbonsai hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen, deshalb wollte ich es einmal mit dieser Art versuchen. Da mir dabei nur ein nichtssagender Stamm zur Verfügung stand, zeichnete ich mir meine Vorstellungen über den zu erreichenden Bonsai auf. Leider sind die damaligen Skizzen nicht mehr vorhanden. Es war aber so, dass ich praktisch den Bauplan eines Bonsai entworfen hatte.
Meine Pläne für diesen Baum waren sehr abstrakt . Es sah eigentlich überhaupt nicht nach Bonsai aus (zumindest in dieser Zeit). Ich wollte beweisen, dass, wenn alles im goldenen Schnitt ist, man auf jeden Fall einen stimmigen Baum erhält. Heute kann ich sagen, dass meine damaligen Vorstellungen zu dieser Gestaltung wenig mit klassischer Bonsaigestaltung zu tun hatten. Es war sogar so, dass ich für diese Gestaltung nur die mir bekannten Regeln aus meiner Ausbildung in der Druckindustrie verwendete. Die bestanden darin, einen gefälligen Rahmen zu setzen, einen Blickfang schaffen und das Ganze so spannend aufzubauen, dass man sich damit länger beschäftigen muss. Stimmig in der Gestaltung, aber schwierig in der Aussage, so wollte ich diesen Bonsai machen. Nach dem Erreichen des Wunschzieles musste ich mich mit der Tatsache abfinden, dass nicht ein Laie, dem ich den Bonsai zeigte, Zugang dazu fand. So stand ich vor der Frage, ob ungewöhnliche Bonsaigestaltung Sinn macht, wenn es nur sehr wenige Leute gibt, die die Aussage, die ich mit der Gestaltung machen möchte, verstehen.
Die Forsythie im zweiten Jahr nach der Grundgestaltung. Weit entfernt von den Vorstellungen, die ich über die endgültige Form hatte.
Die GestaltungDer prägnante Knick im Stamm entstand dadurch, daß der ehemals schräg wachsende Stamm abstarb und danach seine Wuchsrichtung wieder in eine Senkrechte brachte. Und nur dieses Stammmerkmal stand mir am Anfang zur Verfügung.Den alten, abgestorbenen, schrägen Stamm entfernte ich komplett. Den Knick schliff ich mit Schmiergelpapier so weit, dass es nach einer abrupten Richtungsänderung aussah.Der entstandene Shari sah natürlich ziemlich ärmlich aus und so war eine erste Grundsatzentscheidung fällig. Schnell war der Entschluss gefasst, den Stamm auf seiner ganzen Höhe, zur Ansichtsseite, zu entrinden. Das war auch der erste ungewöhnliche Effekt, den ich an diesem Baum plante. Meine Vorstellung war, diesen Sharibereich durch ständiges Einstreichen mit Jinmittel, in ein strahlendes Weiß zu verwandeln. Das würde sehr irritierend wirken und den Betrachter zur Auseinandersetzung mit der Gestaltung zwingen. Spätere Bewertungen der Forsythie gaben mir im nachhinein Recht.Ein Jahr später stand dann fest, dass die Forsythie die ersten, harten Gestaltungsmaßnahmen angenommen hatte. Sie blühte sogar zum ersten Mal, sodass ich mutig wurde, in den weiteren Entscheidungen.
Der Baum war zu diesem Zeitpunkt weit entfernt davon als Bonsai akzeptiert zu werden.
Die Form, die der Baum zu dem Zeitpunkt hatte, war natürlich nicht akzeptabel. Mir war gleich klar und es war von Anfang an geplant, dass die Belaubung dem Stamm nach unten folgen musste. Nur, wie soll man so etwas erreichen, wenn der Neuzuwachs immer gen Himmel wachsen will?
Es folgten einige weitere Experimente, wie Abspannen des ganzen Astes, entfernen des gesamten nach oben gehenden Austriebes usw.
Erfolg brachte dann wieder ein ziemlich rabiater Versuch. Als keine meiner Bemühungen zum Erfolg führten, fixierte ich den Ast mit Draht und brach ihn einen Zentimeter vom Stamm entfernt ein. Er sollte auf diese Weise näher an den Stamm gebracht werden. Meine Hoffnung bestand darin, dass der Baum nach dem Brechen des Astes mit dem zu erwartenden Kallus, den Ast in eine senkrechtere Position bringen würde. Zur Not hätte ich diese drastische Vorgehensweise mehrfach wiederholt. Die Forsythie reagierte aber dankenswerterweise auf diese Misshandlung mit der Bildung des lang ersehnten senkrechten Astes.
Nach dem Brechen des einzigen Astes erschien der ersehnte senkrecht wachsende Ast. Man beachte den Unterschied zu Bild 1. Hier hatte ich den Ast schon sehr weit in die senkrechte gebracht.
Noch traute ich mich nicht konsequent auf den senkrechten Ast abzusetzen.
Im nächsten Frühjahr trennte ich mich dann von dem restlichen Austrieb.
Drei Äste streng nach dem goldenen Schnitt ausgewählt, ließ ich wachsen.
Von nun an war ich überzeugt einen wirklich gelungenen Bonsai in meinem Besitz zu haben und war fortan in den nötigen Gestaltungsmaßnahmen wesentlich vorsichtiger.Im April 1992 nahm ich mit diesem Baum an einer Leserausschreibung der Zeitschrift Bonsai-Praxis Workshop (später Bonsai-creativ) teil. Die Freude war groß, dass der Baum unter den zehn Gewinnern war. Das war eine unerwartete Bestätigung, dass dieser Baum anscheinend als Bonsai Anerkennung fand.
Aufnahme vom April 1992. Gewinner im Leserwettbewerb von Bonsai Praxis-Workshop.Über die skurrile Wurzel (links) geht die gesamte Versorgung des Baumes. Sie ist bis heute nicht zu entfernen. An der Verbesserung des Nebaris arbeite ich seit vielen Jahren. Es besteht die Hoffnung, dass ich mich im nächsten Jahr von dieser unschönen Wurzel trennen kann.