Sonntag, 7. September 2008

Mehr als ein halbes Leben Teil 2

Erste Totholzarbeiten ließen sich jedoch ohne Probleme durchführen. Zunächst entfernte ich alle losen Rindenteile. Dadurch kann man die Saftbahnen der Eibe ausmachen und so mögliche Sharibereiche festlegen. Um die Rindenteile zu entfernen, benutze ich ein altes Werkzeug meines Vaters, welches sich Polierstahl nennt, ich habe es in Rindennadel umgetauft. Wie mit einem besonders harten Fingernagel kann man die Rinde damit abknibbeln. Ein normales Taschen-messer leistet jedoch auch gute Dienste. Da Insekten gerne Eier unter diese lose Rinde legen, um diese vor dem Winter zu schützen, empfiehlt es sich die lose Rinde zu entfernen, um dieses Problem zu lösen.
Wenn man an einer Eibe belaubte Äste entfernt, die für die Gestaltung nicht gebraucht werden, tritt im Laufe der Zeit ein Saftrückzug in den Bereichen des Stammes, welche den Ast versorgten, ein. Diese vertrockneten Rindenteile im Stamm eignen sich für die Gestaltung eines Shari. Beim Säubern mit der Rindennadel suchte ich speziell nach solchen Bereichen. Ohne viel Mühe konnte ich einen solchen bei meiner Eibe ausfindig machen. Denn an der entsprechenden Stelle war die Rinde bereits eingerissen und das darunter liegende Holz war sichtbar.

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Durch Saftrückzug entstandener, natürlicher Sharibereich.

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Mit der Rindennadel entfernte ich alle toten Rindenteile.

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Da der vorhandene Shari recht unansehnlich war, vergrößerte ich ihn.

In Höhe des Stammfußes gab es weitere Verletzungen (Shari), welche noch nachbearbeitet werden mussten, um natürlicher auszusehen. Weil der Stamm fast über seine gesamte Länge Kerzengerade gewachsen ist, wirkten die Verletzungen in diesem Teil des Stammes eher störend. Durch die Verlängerung der Sharibereiche, versuchte ich etwas Bewegung in den Stamm zu bekommen.
1995 wurden alle Äste des Baumes abgesägt. Im oberen Drittel entwickelte sich auf diese Weise ein dicker Jin. Diesen Jin wollte ich durch die Anlegung eines Shari mit der alten Verletzung im unteren Stammabschnitt verbinden. Ich war mir jedoch nicht vollkommen sicher, wo die Saftbahnen in diesem Bereich verliefen. Deshalb habe ich den Jin vorerst nur mit zwei tiefen Schnitten in der Rinde mit dem Shari verbunden. So konnte ich sicher sein, dass falls ich doch durch eine aktive Saftbahn geschnitten hatte, diese Schnitte wieder verheilen würden und der Baum nicht in Gefahr ist. Trotzdem ist ein Erfolg dieser Technik an einer japanischen Eibe niemals sicher, auch Jahre später kann es passieren das die Eibe einzelne Saftbahnen aufgibt und stattdessen Andere fördert.

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Eine alte Stammverletzung wird zum Wurzelansatz hin erweitert.

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Ein alter Jin wird mit einer noch älteren Stammverletzung über zwei Schnitte in der Rinde verbunden.

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Zum Abschluss der Arbeiten wurden alle frischen Wundränder mit Knete bedeckt, um einem zu schnellem Austrocknen vorzubeugen.

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Nach einem halben Jahr war die Rinde zwischen den beiden Schnitten ausgetrocknet.
Im April 2004 kontrollierte ich diesen vorbereiteten Sharibereich. Die von mir
angewendete Technik zeigte Erfolg, denn zwischen den beiden Schnitten war
jeglicher Saftfluss zum Stillstand gekommen. Die Rinde war trocken und konnte
sehr einfach mit der Rindennadel entfernt werden.
Der Baum machte einen sehr gesunden Eindruck. Er war voller Knospen,
deshalb erwartete ich einen besonders starken Neuaustrieb. Vorher
wollte ich jedoch mit den ersten Gestaltungsschritten beginnen. Da der
Baum sehr hoch ist und sich der Großteil der Belaubung in der Krone
befindet, wollte ich die für die Gestaltung notwendigen Äste nach unten
absenken.
Den fertigen Baum stellte ich mir wie eine große, alte Fichte mit hängenden
Ästen vor. Um diese Form zu erreichen, wollte ich mir den Neuaustrieb
zunutze machen. Der anzunehmende Zuwachs der Äste würde diese in ihrer
neuen Position halten. Viele Leute lehnen es ab, wenn man sagt, dass man
eine Eibe in Fichtenform gestalten möchte. Bei meiner Eibe blieb mir jedoch
kaum eine andere Möglichkeit, um ihre Gegebenheiten bestens zu nutzen.
Um die Äste zu senken, drahtete ich diese nicht, sondern spannte sie ab. Ein
besonders dicker Ast in Kronennähe ließ sich nur mit einer Bastbandage in
seine neue Form biegen. Nach dem Abspannen der Äste konnte man sich
einen ersten Eindruck über die spätere Erscheinungsform des Baumes machen.
Diese Ansicht war sehr motivierend und brachte die Ungeduld, an dem Baum
weiter zu arbeiten, wieder hervor. 9 Jahre hatte ich gewartet, war nebenbei
16 Jahre alt geworden und der Meinung nun müsste die Gestaltung langsam
mal vorranschreiten. Aber der Baum musste ja nun erstmal wieder ein Jahr
ruhen, bis die Äste ihre neue Form von alleine hielten.


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Mithilfe des Jins wurden die Äste nach unten gespannt.


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Bei sehr dicken Ästen wurde die Rinde mit Bast vor Verletzungen, die durch
das Biegen passieren konnten, geschützt.

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